Rasen, Teppichstangen, betonierte Wege, immergrüne Hecken – Grünflächen in Wohnsiedlungen können unglaublich trist und eintönig aussehen. Nicht so in der Friedensstraße 13/15 in Hattersheim. Durch „die essbare Siedlung“ hat sich der Freiraum zwischen den Gebäuden für die Mieter zu einem Ort der Begegnung und des Austauschs entwickelt.
Man muss ein wenig zurückblicken, um das Konzept der essbaren Siedlung Hattersheim zu verstehen: Der Garten mit 23 kleinen Parzellen und drei Hochbeeten liegt inmitten mehrerer aus den 1950er Jahren stammender Wohnblocks, die der Hattersheimer Wohnungsbaugesellschaft Hawobau gehören. Die Siedlung wurde in den 2000er Jahren im Rahmen des Förderprogramms ‚Soziale Stadt‘ modernisiert. Die Umgestaltung der großzügigen Freifläche zwischen den Gebäuden bildete gewissermaßen den Abschluss dieses Projekts – aus dem ungenutzten Raum zwischen den Gebäuden sollte eine Begegnungsstätte für die Bewohner werden. Heute sorgen ein Kinderspielplatz und der Siedlungsgarten dafür, dass man vor allem im Sommer häufig Gelegenheit zum zwanglosen Kontakt mit den Nachbarn hat.
Vorbild ist die essbare Stadt Andernach
Für Heike Bülter vom Stadtteilbüro, die uns das Projekt im Rahmen der Führung von GartenRheinMain vorstellte, ist dies eine der wichtigsten Funktionen der essbaren Siedlung. Das Projekt hat viel zur Identifikation der Mieter mit ihrem Wohnumfeld beigetragen. Wo Hilfe nötig war, etwa beim Umgraben der rund 500 Quadratmeter umspannenden Beete oder beim Einzäunen als Schutz vor den gefräßigen Kaninchen, hat die Hawobau mit professionellem Gerät geholfen. Auch Wasser wird gestellt. Ansonsten konnten sich die Mieter frei entfalten. Einzige Vorgabe: der Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden ist untersagt – schließlich bildet die essbare Stadt Andernach mit ihrem Konzept der Selbstversorgung mit frischem Obst und Gemüse das Vorbild für die essbare Siedlung Hattersheim.
Interkulturelle Gemeinschaft bedeutet Vielfalt im Beet
Inzwischen erlebt die Gartengemeinschaft bereits ihre dritte Saison. Bei unserem Besuch im Juni blühen Sommerblumen in den Beeten. Vor allem haben die Mieter ihre Parzellen aber mit Gemüse und Kräutern bepflanzt. In einem Beet stehen Tomaten und Paprika ordentlich in Reih und Glied, in einem anderen fast erntereife Kohlraben. Eine marokkanische Familie hat großflächig Minze gepflanzt und gibt uns gleich ein paar Tipps zum Anbau im eigenen Garten. Eine Gärtnerin afghanischer Nationalität lässt uns Schnittlauch kosten, für den sie den Samen eigens aus Kabul beschafft hat. Und dann gibt es noch die Pflanzen, für die es gar keinen deutschen Namen gibt. Heike Bülter lacht: „Beim Blick über den Zaun denkt man schon einmal, das ist Unkraut, bis sich die Pflanze bei einem gemeinsamen Essen dann als schmackhaftes Gemüse entpuppt.“
Siedlungsgarten erhielt Sonderpreis beim Städtewettbewerb Entente Florale
Für die städtische Wohnungsgesellschaft ist der soziale Zusammenhalt unter den Mietern so wertvoll, dass sie die Fläche gerne zur Verfügung gestellt hat und für die Einrichtung weiterer wohnungsnaher Gärten offen ist. Auch anfängliche Befürchtungen von Anwohnern, dass die Ruhe durch das Projekt gestört werden könnte, haben sich in Wohlgefallen aufgelöst. Und sollte es doch einmal Klärungsbedarf geben, vermitteln die Sprachlotsen oder die Mitarbeiter des Stadtteilbüros, deren Arbeit nach dem Auslaufen des Förderprogramms von der Stadt Hattersheim und der Hawobau weiter finanziert wird. Auch für Hattersheim ist die essbare Siedlung ein Glücksfall. So war das Projekt ein wichtiger Baustein für die Teilnahme am bundesweiten Städtewettbewerb Entente Florale, bei dem die Stadt mit ihrem Gesamtkonzept 2014 den zweiten Platz belegte und der Siedlungsgarten mit einem Sonderpreis „als vorbildliches interkulturelles Beteiligungsprojekt“ ausgezeichnet wurde.
0 Kommentare zu “Auf gute Nachbarschaft: Die essbare Siedlung Hattersheim”